Die folgende Stellungnahme ist – gemeinsam mit jenen anderer Expert*innen – zuerst auf der Website des Science Media Center (SMC) erschienen.
SMC: „Die EU-Kommission hat am 30.11.2022 zwei zentrale Vorhaben für die Kreislaufwirtschaft von Kunststoffen vorgeschlagen [I]. Eine Überarbeitung der Verpackungsrichtlinie soll dafür sorgen, dass bis 2040 in EU-Staaten 15 Prozent weniger Verpackungsmüll als 2018 anfällt – ohne neue Regelungen würde die Müllmenge voraussichtlich deutlich ansteigen.
Das zweite Vorhaben ist ein politischer Rahmen für biobasiertes und biologisch abbaubares Plastik. Dieser enthält keine bindenden Regeln, sondern soll als Richtschnur für künftige EU-Regulierungen gelten. Die Kommission definiert darin, unter welchen Umständen „Bioplastik“ ökologisch sinnvoll ist und wie Produkte aus biobasierten Kunststoffen gekennzeichnet werden sollten.
Beide Vorhaben sind Teil des Circular Economy Action Plan der Kommission [II]. Das Science Media Center hat Forschende um Einschätzung gebeten. Ein Fact Sheet zum Kunststoffrecycling in Deutschland und der EU und zu Maßnahmen, die das Recycling ankurbeln könnten, finden Sie hier [III].“
Statement Prof. Dr. Michael Nase
Leiter des Instituts für angewandte Biopolymerforschung, Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hof
„Die vorgeschlagenen Regulierungen der EU-Kommission zur Kreislaufwirtschaft von Kunststoffen stellen einen mutigen und umfassenden Ansatz zur Revolution der Verpackungsbranche dar. Sie umfassen die kritischsten und wichtigsten Stellschrauben zur deutlichen Verbesserung der Nachhaltigkeit des Verpackungssektors.“
„Die Regulierungen umspannen besonders mit der Vorschrift zur Recyclingfähigkeit einer Verpackung durch das Konzept des ‚Design for Recycling‘ nahezu alle Verpackungen, die ein Bürger innerhalb der EU nutzt. Es werden aus Sicht des Recyclings problematische Entwicklungen der letzten Jahrzehnte – hin zu komplexen, multifunktionalen Verpackungslösungen aus untrennbaren Verbundsystemen – angegangen und nahezu vollständig recyclebare Verpackungslösungen gefordert. Diesen Anspruch an unsere Verpackungen gilt es zu unterstützen und er stellt ein enormes Potenzial zur Verringerung von Kunststoffmüll dar. Dennoch ist das geplante Vorhaben in vielen Bereichen der Verpackungsbranche entgegen der gängigen industriellen Praxis und wird alle Akteure vor die enorme Herausforderung zur Innovationsfindung stellen. Ob es möglich sein wird, für alle aktuellen Anwendungen von Verpackungen adäquate alternative Lösungen mit hoher Recyclingfähigkeit zu finden, wird sich bei einer Implementierung der neuen Regulierungen zeigen. Falls nicht, müssen wir einen gewissen Luxus – durch hoch-technologisierte, billige und schnell verfügbare Verpackungen und deren Vorteile wie Barrieren, Wiederverschluss und Praktikabilität bei gleichzeitiger Toxizität für unsere Umwelt – aufgeben. Weitere vorgeschlagene Lösungen wie Wiederbefüllungs- und Wiederverwendungsoptionen sind interessante Konzepte, die jedoch schon in der aktuellen Praxis – abseits von einigen Anwendungsfällen – an Grenzen bezüglich der Praktikabilität geraten. Daher ist anzunehmen, dass diese hinsichtlich ihrer Bedeutung zur Reduzierung des Verpackungsabfalls eher einen geringeren Anteil haben werden.“
„Sehr zu begrüßen ist es, dass die deutliche und einheitliche Kommunikation mit dem Konsumenten einer Verpackung Teil der Regulierungen ist – durch harmonisierte Symboliken und eindeutige Handlungsvorgaben zur Entsorgung einer Verpackung. Bisherige Systeme zeigten in der Praxis deutliche Schwächen bei der Qualität von eingesammelten Verpackungsabfällen. Das sorgte auch dafür, dass Verbraucher das Vertrauen in ein funktionierendes Recycling verloren haben.“
„Die Regulierung der Entwicklung und Verwendung von Biokunststoffen im Bereich von Verpackungslösungen ist überfällig und daher sehr zu begrüßen. Durch Regulierungen können Fehlentwicklungen – wie nicht wiederverwertbare Verpackungen im Bereich der petrochemisch basierten Kunststoffe – frühzeitig eingedämmt werden. Allerdings werden durch die umfangreichen Einschränkungen – wie zum Beispiel die starke Limitierung der Anwendungszwecke für biologisch abbaubare Kunststoffe – Produktneuentwicklungen in der noch jungen Branche der Biokunststoffe erschwert. An dieser Stelle wäre es wünschenswert, die Tür für Entwicklung und Innovation einen Spalt weiter offen zu lassen.“
„Die vorgeschlagenen Regulierungen machen vieles richtig und setzen weitere Impulse und Standards, die in der Branche überfällig waren. In Summe wäre eine Implementierung in nationale Gesetze und Verordnungen im Zeichen der Nachhaltigkeit ein Gewinn. Für die Verpackungsbranche und für uns als Endkonsumenten wird es aber vor allem auch bedeuten: Ärmel hoch, zusammenarbeiten und anpacken.“